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3. Faase|nachd | ![]() |
Formen des Faschings: Die Straßenfastnacht
Am Faschingssonntag, nachmittags gegen 14 Uhr, geht's dann so richtig los: die Narren treffen sich an einem "Sammelplatz", meist in der Wohnung oder im "Keller" eines Obernarren, um sich dort für die Straßenfastnacht vorzubereiten, das heißt: um sich zu vaboodse, sich also zu verkleiden. Für Faschingsprofis gibt es gar keine Qual der Wahl: sie verkleiden sich natürlich als Aldi. Ohne wenn und aber!
Derart uss'schdaffìerd geht's dann schließlich los: man zieht in kleinen Gruppen durch die Straßen und begehrt bei bekannten und weniger bekannten Leuten mit dem Ruf Einlaß: "Mache uff! Ma wille e Schnäbbsje hònn!" Wenn nicht geöffnet wird, man sieht aber, dass der Vorhang wackelt, dann werden die Rufe umso nachdrücklicher: "Mache ùff! Ma wisse, dassna dehämm sìnn!" Wenn auch das nicht wirkt, muss man zu einer List greifen, die meist Erfolg verspricht. Man gibt sich als Verwandter aus und ruft erneut: "Tonde Mariche! Mach ùff! Ich sìnn's!" Nun ist die so angerufene Person natürlich neugierig und will wissen, wer von der Verwandtschaft draußen Einlass begehrt und macht auf! Vielleicht..., denn der Trick funktioniert nicht immer! Oft wird auch noch am Fenster oder an der Türe verhandelt, und der potentielle Gastgeber sagt vielleicht: "Ich lònn och erìnn, awwa ìehr mìsse die Fraddsegesichda erunna|mache!" Das tut man aber meist sowieso: so kann man besser essen und trinken und ein bisschen Luft zwischendurch schadet auch nicht. Wer allerdings die totale Anonymität vorzieht, der darf seine Maske nicht absetzen: dann heißt es, unter erschwerten Bedingungen zu essen und zu trinken. Trinken, das sieht so aus: Schnaps und Bier, gegen später auch Kaffee werden mit einem dünnen Gummischlauch (meddem Rehrche) zu sich genommen, was vor allem beim Alkohol die Wirkung gut und gerne verdreifacht! Essen, das geht so: Die Maske wird unten etwas gelüftet und die Schmeer wird in den Mund geschoben...
Manche Faaseboodse planen sogar eine richtige Tour für jeden der drei närrischen Tage: es wird genau festgelegt, zu wem man wann hingeht, oft sogar mit Voranmeldung, damit gesichert ist, dass die Gruppe auch eingelassen wird. Oft ist das aber gar nicht nötig, denn ma wääß, wo ma hennerum gehn muss oder wo de Hussdier|schlissel läid. ;-)
Begehrt sind selbstgebrannte Schnäpse wie Kirsche|schnabbs, Bìere|schnabbs oder Mirabälle|schnabbs. In schlächde Hiesa [schlechten Häusern, also "sparsamen" oder gar geizigen Haushalten] bekommt man Apfelschnaps, Schnaps aus dem Supermarkt oder gar Likör vorgesetzt - die spätere Wirkung ist entsprechend heftig! Je mehr Schnäpschen getrunken werden - Profis schaffen davon locker 20 Stück! -, umso ausgelassener die Stimmung, umso frecher auch das Auftreten der Aldis.
Gegen all zu schnelle Trunkenheit wirken am besten frische Faase|kìechelcha, Gròòwurschd|schmeere oder Galleräi. Sowas gibt's in den "guten Häusern", in de gùlle Hiesa. Den absolut besten Galleräi von ganz Ensheim gibt's zum Beispiel bei Hautze Oss und seiner Frau in der Kriddsfälld|schdròòß...! Es ist wichtig, zwischendurch immer wieder kräftig zu essen: notfalls muss man sich e Schmeer follarre, also um eine Stulle nachsuchen. Wer nicht viel isst, ist schnell besoffen und hat nicht selten einen Filmriss: er weiß am nächsten Tag nicht mehr, wie er heim gekommen ist... Oft bedeutet Volltrunkenheit aber auch, dass man midde ùffs Droddwaa koddse muss - ein sehr unappetitliches Unterfangen, was in der Regel eine Schimpfkanonade bei unbeteiligten Fußgängern auslöst.
Interessant ist auch die althergebrachte Fortbewegungsart der Aldis: sie hüpfen mehr als sie laufen und machen schon von weitem durch laute Rufe wie "Eieieieiei!" auf sich aufmerksam. Gerne laufen sie kleinen Kindern oder den Mädchen nach und wollen sie erschrecken, was heute aber nicht mehr so gut gelingt wie noch vor dreißig oder vierzig Jahren.
Überhaupt sind Ensemma Faaseboodse im Normalfall sehr redselig: sie sagen nicht etwa wie schwäbische oder Basler Narren kein Ton, sondern legen es im Gegenteil darauf an, möglichst viel zu sprechen, aber dabei die Stimme so kunstvoll zu verstellen, dass die Angesprochenen nicht wissen, wer sich hinter der Maske verbirgt. Es ist immer wieder ein Heidenspaß, Passanten oder auch Gastgebern "intime" Stories zu erzählen, und sie bemühen sich vergeblich, die Identität des Faaseboods zu lüften.
Es ist auch immer wieder toll und lustig, wenn sich verschiedene Narrengruppen zufällig in einem Haus treffen und dann ein nicht ganz ernst gemeintes Streitgespräch anfangen, wobei jede Gruppe versucht, herauszukriegen, wer sich hinter den konkurrierenden Masken versteckt. Bei diesen "Disputen" kommt die ganze große Stunde der Dummschwäddsa; sie laufen dann zur Hochform auf. Es gab und gibt in dieser leider nicht olympischen Disziplin wahre Weltmeister im Dummschwätzen in Ensheim! Natürlich sind die besten Gespräche Dialektgespräche und unterstreichen den kulturellen Wert der alemannisch geprägten Ensheimer Mundart, die ja auch eine Fülle von urigen Sprüchen und Redensarten zu bieten hat.
Gegen Abend, man hat sich ja mittlerweile mächtig in Stimmung gebracht, beginnt dann der Zug durch die zahlreichen Ensheimer Kneipen, wo sich die Crème de la crème der Faaseboodse trifft und das jeweilige Aufeinandertreffen gebührend begießt und feiert... Möglicherweise läuft man sich schon zum zweiten oder dritten Mal an diesem Tag über den Weg...
Jede schöne Frau wird dann geschmuddsd, jede erotische [siehe Tante Friedche!] sowieso, faschingsmäßiges Mobbing also, das aber von den meisten Mädchen und Frauen durchaus toleriert, wenn nicht sogar sehnsüchtig erwartet wird. Es gibt natürlich auch umgekehrt viele weibliche Wesen, die ihrerseits in Gruppen unterwegs sind, sehr oft auch als Aldi oder als Domino, und dann auf Männerfang gehen. Dann schnappt man sich die Männer, die man immer schon mal haben wollte.
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So oder so ähnlich geht es rund von Sonntag bis Dienstagabend. Profis schaffen das Pensum locker, normale Boodse haben von dickem Kopf bis hin zu Herzrhythmusstörungen alle möglichen Wehwehchen, läije vamässe im Sulwa und sind hinterher ein paar Tage "krongk". Doch das ist überhaupt nichts Neues - das war auch früher schon so!
Die wirkliche Ernüchterung, die kommt dann am Aschermittwoch, wenn alles vorbei ist. Diejenigen Ensheimer Narren, die auch gläubige oder fromme Christen sind, begeben sich auch in heutigen Zeiten noch zur Kirche, um sich 's Äsche|griddsje se hòlle.. .
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Last update: 01.02.2006 © Paul Glass 1997 - 2001 ff